Orgasmushemmung: Wenn Männer verzögert oder gar nicht kommen

Verzögerte Ejakulation - zu spät kommen

Du kommst erst sehr spät zum Höhepunkt? Oder Du kommst gar nicht? Du kommst zwar allein oder durch manuelle und orale Stimulation durch Deine Partnerin, aber nicht beim Geschlechtsverkehr? Vielleicht kommst Du auch nur bei der Selbstbefriedigung oder erst nach sehr langem Verkehr mit Deiner Partnerin.

Es gibt unterschiedliche Abstufungen. Eins haben sie alle gemeinsam: Du hast Probleme beim Erreichen deines Orgasmus. In den meisten Fällen geht es dabei um den Geschlechtsverkehr.

Im Gegensatz zur vorzeitigen Ejakulation, die jeden fünften Mann im Laufe seines Lebens erwischen kann, tritt der verzögerte und vor allem der ausbleibende Orgasmus seltener auf. Dadurch ist es noch schwieriger, hilfreiche Informationen zu finden bzw. überhaupt auf Verständnis zu stoßen.

Du findest hier die wichtigsten Informationen über die verzögerte oder ausbleibende Ejakulation, die mit einer Hemmung des Orgasmus einhergeht.

1. Wenn ein Mann die Orgasmusschwelle nicht erreichen kann

Er stößt in sie hinein. Wieder und wieder. So geht das schon eine ganze Weile. Sein Orgasmus scheint immer noch unerreichbar. Aber langsam geht ihm die Kraft aus. Und seine Partnerin wird immer unwilliger. Dabei fing alles so wunderbar an. Er hatte Lust und sie ging bereitwillig auf ihn ein. Sie streichelten sich, küssten sich, umschlangen einander. Seine Erektion war sofort da, prall und bereit für die Vereinigung. Sie nahm ihn erst in die Hand, dann in den Mund und als er dachte, nicht mehr warten zu können, drang er in sie ein.

Und das war es dann auch. Seitdem gibt es keine Veränderung. Er kann seine Erregung nicht mehr steigern, steht kurz vor dem Höhepunkt und kann ihn dennoch nicht erreichen. Hätte er sie nur mit der Hand oder dem Mund weitermachen lassen. Dann hätte er kommen können. Aber er hatte nun einmal gedacht, heute sei es anders. Heute könne er auch in ihr kommen und ihr auf diese Weise zeigen, wie sehr er sie liebt. Frustriert zieht er sich zurück. Sprachlos liegen sie nebeneinander.

2. Die Definition:

In der Sexualmedizin gibt es die Begriffe Ejaculatio retarda und Ejaculation deficiens. Diese stehen für den verzögerten und den ausbleibenden Samenerguss. Was genau bedeutet das?

Im DSM-IV, der amerikanischen Klassifikation psychischer Störungen, lautet die Definition folgendermaßen:

"Eine anhaltende oder wiederkehrende Verzögerung oder ein Fehlen des Orgasmus nach einer normalen sexuellen Erregungsphase während einer sexuellen Aktivität, die der Untersucher unter Berücksichtigung des Lebensalters hinsichtlich Intensität, Dauer und Art für adäquat hält."

Mit dem Untersucher ist der Mediziner oder Sexualtherapeut gemeint, der zu Rate gezogen wird und entscheidet, ob es sich um eine Störung handelt. Leider besteht für sehr viele Männer eine enorme Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen. Stattdessen vermeiden sie sexuelle Begegnungen, halten ihre Partnerinnen auf Abstand oder versuchen es mit einer Selbstmedikation in Form von Alkohol oder anderen Drogen.

In der deutschen Klassifikation, der ICD-10, finden wir die verzögerte oder ausbleibende Ejakulation unter den Orgasmusstörungen. Das ist deshalb so spannend, weil diese Männer und Frauen gleichermaßen betreffen. Und wenn wir es so betrachten, wird uns schnell unsere kulturelle und gesellschaftliche Beeinflussung bewusst:

Unsere Erwartungshaltung


Im Gegensatz zu den eher wenigen Männern, die unter diesen Orgasmusstörungen leiden, kennen sich sehr viele Frauen sehr gut damit aus. Sie sind es fast schon gewöhnt, gar nicht, selten oder viel besser durch manuelle oder orale Stimulation als durch den Koitus zum Höhepunkt zu kommen. Für Männer jedoch besteht in unseren Köpfen das Vorurteil, sie müssten durch die Penetration kommen und damit den Akt beenden. Schaffen sie das nicht, beziehen Frauen das nicht selten auf sich. Das wiederum setzt Männer ganz schön unter Druck. Darauf komme ich später noch zurück.

3. Wann ist zu spät zu spät?

Mit der IELT wird die intervaginale Ejakulations-Latenzzeit beschrieben, also die Zeit, die Dein Penis in der Vagina verbringt, bevor Du zum Orgasmus kommst. Besonders bedeutsam ist sie bei der Definition des vorzeitigen Samenergusses. Für den gehemmten Orgasmus gibt es jedoch keine genaue Zeitangabe. Niemand sagt also, dass Du ab einer gewissen Minutenzahl eine Störung hast.

Maßgeblich wichtig ist der persönliche Leidensdruck. Und dieser kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein:

  • Der Eine greift einfach auf andere Arten der Stimulierung zurück und genießt manuelle oder orale Freuden.
  • Ein Anderer hat gar keine Partnerin, mit der er sich unter Druck setzen könnte.
  • Aber für einen Dritten ist der Geschlechtsverkehr mit abschließendem Samenerguss das Allerwichtigste.

Ein durchschnittlicher Geschlechtsverkehr dauert übrigens sechs Minuten. Aber auch diese sechs Minuten können sich endlos ausdehnen, wenn Du eigentlich schon längst gekommen sein wolltest, es aber nicht schaffst.

4. Die zwei Formen der Orgasmushemmung

Die Orgasmushemmung gibt es bei Männern als auch bei Frauen. Bei Männern sprechen wir von der verzögerten oder ausbleibenden Ejakulation. Oben habe ich schon angesprochen, dass es dabei unterschiedliche Ausprägungen gibt. Dazu wird in zwei Typen eingeteilt:

Der generalisierte Typus

Wenn Du zu dieser Gruppe gehörst, kommst Du gar nicht, weder allein noch zusammen mit Deiner Partnerin, weder durch manuelle und orale Stimulierung noch beim Verkehr.

Der situative Typus

Wenn Du zu dieser Gruppe gehörst, kannst Du vielleicht allein kommen oder wenn Deine Partnerin ihre Hände oder ihren Mund zur Stimulation verwendet. Nur beim Geschlechtsverkehr klappt es gar nicht oder nur nach sehr langer Dauer. Das ist übrigens auch die Form von Orgasmusstörung, die sehr viele Frauen kennen.

5. Die Folgen des verzögerten oder ausbleibenden Samenergusses

Verzögerter Orgasmus - ausbleibend

​Es herrscht das Vorurteil, dass es doch toll sei, wenn ein Mann später komme. Schließlich könne er seine Partnerin umso besser befriedigen. Aber das ist ein Irrtum. Denn auch daraus entstehen Leidensdruck und Beziehungsprobleme. Während Du selber unter Druck gerätst, wird es von Deiner Partnerin als anstrengend und belastend empfunden. Die Feuchtigkeit der Scheide lässt nach, so dass die Reibung schmerzhaft werden kann. Der Geschlechtsverkehr artet in Arbeit aus und nicht selten wird er vorzeitig beendet oder lässt die Erektion nach.

Wer Du nicht zum Höhepunkt kommen kannst, ist das nicht nur für Dich selber unbefriedigend. Deine Partnerin kann das Gefühl bekommen, nicht attraktiv oder sexuell erfahren genug zu sein. Sie empfindet sich eventuell sogar als überflüssig, wenn Du nur durch eigene Betätigung zum Orgasmus kommst. In dem Fall ist es wieder einmal wichtig, darüber ins Gespräch zu kommen!

6. Die Ursachen

Was kann dahinterstecken, wenn Du nur schwer oder gar nicht kommen kannst? Wie üblich finden wir verschiedene und ganz individuelle Ursachen, die miteinander verbunden sind. Wir nennen das biopsychosozial: Körper, Seele und Beziehung. Dein Körper verhält sich nicht einfach so. Und dafür ist der verzögerte oder ganz ausbleibende Samenerguss ein Symptom. Allgemein wird davon ausgegangen, dass dahinter tief verwurzelte Konflikte, Ängste und Phantasien stecken.

  • Eine unwillkürliche Abwehrreaktion
  • Ein unbewusstes Zurückhalten
  • Kontrolle von Ängsten
  • Wenig Achtsamkeit dem eigenen Körper gegenüber
  • Unbewusste Angst vor Schwangerschaft
  • Traumatische Erfahrungen mit Sexualität
  • Angst vor sexuell übertragbaren Infektionen
  • Ineffektive sexuelle Stimulation
  • Zurückhalten der eigenen Wünsche
  • Falsche Vorstellungen von Sexualität
  • Fehlende Informationen über Sexualität
  • Angst, die Partnerin zu verletzen
  • Angst vor Kontrollverlust
  • Feindseligeit, Ärger oder Wut Frauen gegenüber

Hinzu können somatische Ursachen aufgrund von Tumoren, Trauma- und Operationsfolgen, Multipler Sklerose, Parkinsonismus, diabitischer oder renaler Neuropahtien und auch Alkoholismus kommen. Medikamente und Drogen können sich ebenfalls wie Depressionen und Angststörungen auf das sexuelle Erleben auswirken. Dies sollte unbedingt mit einem Arzt oder einer Ärztin abgeklärt werden!

Nur wenige Männer mit verzögerten oder ausbleibenden Erektion suchen übrigens einen Arzt oder Therapeuten auf. Die meisten schämen sich viel zu sehr, glauben nicht an eine Besserung oder haben Angst, dass ihre Sexualität ihre Spontanität verliert. Schade, oder?

7. Was hilft?

Im ersten Schritt ist es wichtig, dass Du einmal schaust, ob Du eine Erkrankung hast oder Medikamente einnimmst, die mit der Orgasmushemmung im Zusammenhang stehen können. Dies kannst Du mit Deinem jeweiligen Arzt oder deiner Ärztin besprechen.

Im zweiten Schritt steht eine Sexualtherapie an. Es gilt, sowohl die inneren als auch die partnerschaftlichen Ursachen aufzudecken. Denn wie schon oben beschrieben, steht dieses Symptom für etwas. Anschließend kannst Du in der Therapie gemeinsam mit Deiner Partnerin Techniken entwickeln, mit denen eine Erregungssteigerung möglich ist. Zudem ist es wichtig, dass Du lernst, Leistungsdruck und Versagensgefühle zu erkennen und zu verändern. Auch Deine Partnerin sollte hiervon entlastet werden.