Beziehung zu dritt: Was ist Polyamorie?

​Als ich ein Kind war, gab es in ​meinem gesamten Umfeld nur ein gesellschaftlich akzeptiertes Beziehungsmodell. Und das war die Ehe. Heterosexuell natürlich, also ein Mann mit einer Frau. In der Reihenfolge auch von der ​Wichtigkeit her. Scheidung? Um Himmels Willen! Uneheliche Kinder? Ein absolutes No-Go. Außenbeziehungen? Nur für Männer. 

Mittlerweile ist das ganz anders. Zumindest in meiner Welt. ​Schließlich gibt es auch heute noch ​genügend Menschen, die aus kulturellen, religiösen oder gesellschaftlichen Gründen heiraten und verheiratet bleiben müssen. Oder aber verheiratet bleiben wollen. Die Liebe bis an das Lebensende ist immer noch der große Traum vieler Suchenden und Liebenden. 

Schon beim ersten Date ​sehen ​sie sich vor ​ihrem geistigen Auge grauhaarig und händchenhaltend auf der Bank vor dem Sonnenuntergang. Ich weiß genau, wie das aussieht. Schließlich war das auch lange Jahre meine Fantasie. Nur klappt das nicht immer wie gewünscht. ​​Und auch da​mit bin ich sehr vertraut.

​Das große Potpourri der Beziehungsmodelle

​Und so ist es das große Glück unserer Zeit, dass ​wir uns heute aus einem bunten Potpourri ​​unterschiedlichster Beziehungsmodelle ​das für uns Passende heraussuchen können. ​Vorausgesetzt natürlich, alle sind damit einverstanden. Wir können ohne Trauschein zusammen leben, mehrere monogame Beziehungen hintereinander führen, Kinder allein großziehen, Familien zusammenwürfeln, die Geschlechter mischen. Und wir können polyamor leben und damit mehrere Menschen gleichzeitig lieben.

​​Mehrere Menschen gleichzeitig lieben? Hört sich gut an! Eines möchte ich jedoch gleich vorweg schicken: Wer eine heimliche Außenbeziehung hat, lebt nicht polyamor. Denn Polyamorie ist kein cooles Wort für Fremdgehen ​und auch kein Freifahrtsschein für ​​wildes einseitiges Bettengehüpfe. 

Offenheit, Liebe und Respekt sind die Grundfesten einer polyamoren Beziehung

​Sex kann durchaus Bestandteil einer polyamoren Beziehung sein. Muss er aber nicht. Es geht auch ohne, je nach Vereinbarung. Denn bei Polyamorie ​stehen Gefühle, Liebe, Respekt und Wertschätzung im Mittelpunkt. Und das eben nicht nur einem Partner oder einer Partnerin gegenüber. Wie jedoch diese Liebe ausgedrückt wird, das kann ganz unterschiedlich sein.

Wenn ein Paar polyamor leben möchte, entscheiden sich beide bewusst dafür und treffen diese Entscheidung gemeinsam. Gleiches Recht für alle. Diese gemeinsame Entscheidung, die Offenheit und die Gefühle zusammen sind der große Unterschied zur üblichen Außenbeziehung, zum Fremdgehen, zum Seitensprung.

​Wie ​wird eine polyamore Beziehung gelebt?

​Wie sieht das nun genau in der Umsetzung aus? ​Für diese Frage habe ich mir bei meiner Kollegin ​Susanna-Sitari Rescio ​Unterstützung geholt. Sie kennt nicht nur die Theorie, so wie ich. ​Und ich träume ​zudem auch immer noch von dem Prinzen, der mir von seinem Schimmel herab die Hand für den Start in die Ewigkeit reicht. Wobei dieser Prinz ja mittlerweile schon leicht angegraut ​mit mir starten müsste. Aber egal. Nein, Susanna hat selber ​Erfahrungen damit gesammelt, mehr als einen Menschen gleichzeitig zu lieben. Und ​so ist sie die beste Quelle, um mein theoretisches Wissen zu erweitern. ​

​Damit zurück zur Polygamie und der offenen Liebe. In einer polyamoren Beziehung gibt es ein Hauptpaar. Diese beiden sind fest miteinander verbunden, so wie wir es auch aus der traditionellen ​Beziehung kennen. Ob verheiratet oder nicht, spielt dabei keine Rolle. ​

Entscheiden sie sich, ihre Beziehung zu öffnen, dürfen beide eine Außenbeziehung führen. ​Wie viel genau der oder die Andere davon weiß, ist Absprache. Es kommt auch vor, dass die Außenbeziehung für eine Zeit Teil der festen Beziehung wird. Aber ganz gleich, was im Außen geschieht und wie die Absprachen sind, das eigentliche Paar bleibt immer miteinander verbunden.

​Wie finden sich polyamore Partner?

​Vielleicht wissen sie es schon von Anfang an. ​V​ielleicht entdecken sie auch erst später, ​wie viel Liebe ​sie in sich tragen oder auch wie viel unterschiedliches Begehren. So gibt es auf der einen Seite Stammtische und Netzwerke für Menschen, denen klar ist, dass sie offen bleiben möchten für andere Menschen. Hier ist von Beginn an klar, wie die Beziehung gestaltet werden kann. ​

Andere Paare beschließen aus einer bestehenden monogamen Beziehung heraus, dass ​sie sich öffnen möchten. Vielleicht aus weiser Vorausschau, vielleicht, weil da tatsächlich gerade jemand ​auf dem erotischen oder emotionalen Radar aufgetaucht ist. 

​Wie geht man mit unangenehmen Gefühlen um?

​​Auch unangenehme Gefühle sind ​etwas, das sich ​weder ein- noch aussperren lässt. Nur weil beide Partner gemeinsam beschlossen haben, andere Menschen in ihre Beziehung hineinzulassen, bedeutet das nicht, dass sie nicht auch Schmerz, Eifersucht oder Besitzansprüche entwickeln. Wichtig ist dabei immer, bei sich zu bleiben, sich zu fragen, was genau diese Gefühle auslöst und wie sich die Situation ändern lässt. Diese Gedanken mit dem Partner oder der Partnerin zu besprechen, schafft wieder eine besondere Form von Nähe und auch Intimität.

Begehren lässt sich nicht einsperren

​Susanna hat etwas gesagt, dass mich nachdenklich gemacht hat. Lust lässt sich nicht aufteilen. Wenn wir ein starkes Begehren einem anderen Menschen gegenüber spüren und dieses Begehren unterdrücken, sei es aus moralischen, religiösen oder ​gesellschaftlichen Gründen, dann unterdrücken wir unsere ganze Lust. ​Das ist ein ​Gedanke, dem ich so noch nicht nachgegangen bin. Und ich weiß auch nicht, ob das wirklich für alle Menschen zutrifft. Aber es ist etwas, über das es sich nachzudenken lohnt.

  • Begehren wir einen anderen Menschen erst dann, wenn unser Partner oder unsere Partnerin für uns nicht mehr begehrenswert erscheint?
  • check
    ​Oder unterdrücken wir umgekehrt das Begehren für unseren Partner oder unsere Partnerin gleich mit, wenn wir das Begehren für einen anderen Menschen unterdrücken?

Übrigens kann es ​die Lust auch ​durchaus ​wecken, wenn wir mit unsere Partner oder unserer Partnerin über unsere erotischen Gedanken und Vorstellungen sprechen. Uns gemeinsam vorstellen, was wir alles machen könnten und erleben würden. Und dann kann es vielleicht auch einfach nur eine Fantasie bleiben.

Der Podcast zum Thema Polyamorie

Hier geht es zum passenden Podcast: #24 Polyamorie – Mehr als einen Partner lieben

Anja Drews
 

Als Dipl.-Sexualpädagogin, Sexualtherapeutin und Sexualwissenschaftlerin unterstütze ich Menschen dabei, ihren ganz eigenen Weg in dieser wohl spannendsten und vielfältigsten Seite unseres Lebens zu finden. Meine Arbeit erfüllt mich mit großer Freude und begeistert mich immer wieder aufs Neue! Ausführliche Informationen über mich findest du hier auf der Seite.

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